Dass die U17 des EHC Straubing mit Chiara Schultes einen weiblichen Goalie hat, ist eigentlich gar keine so große Sache. Groß sind vielmehr das Talent und die Ambitionen der U 18-Eishockey-Nationalspielerin
Wenn man auf der Website des EHC Straubing unter „Mannschaften“ auf „Kader U17“ klickt, blinken auf dem Bildschirm zuerst ein Mannschaftsfoto und dann in Fünferreihen 25 Einzelporträts auf. „Spielerinnen und Spieler“, steht darüber. Was allerdings nicht ganz korrekt ist, denn: Unter den 25 Aktiven der EHC-Nachwuchsmannschaft, die in dieser Saison erfolgreich in der U17 Division I Süd, der höchten deutschen Spielklasse im Eishockey für Mannschaften der Schüler-Altersklasse, spielt, befindet sich genau eine Spielerin: Chiara Schultes, 17 Jahre, Torhüterin.
Ein Mädchen allein unter lauter Teenager-Jungs? Und das Ganze auch noch in einer der körperlichsten Sportarten, die es gibt? Was im ersten Moment wie ein großes Ding klingt, ist in Wirklichkeit gar nicht so etwas Besonderes. Chiara Schultes ist nicht die einzige weibliche Torhüterin im Männer-Eishockey. Eine ihrer Vorgängerinnen ist Viona Harrer, die jahrelang im Tor der Erding Gladiators stand – in der damals vierthöchsten Liga der Männer. Die sagte der „Süddeutschen Zeitung“ einmal in einem Interview auf die Frage, ob nicht die Gefahr bestehe, dass sich der Verein mit einer Frau im Tor nur einen Hauch Extravaganz verschaffen will: „Die Leistung muss passen.“ Und die passte.
Die Leistung passt auch bei Chiara Schultes – und wie sie passt! Beim EHC, wo die 17-Jährige aus Fuchsmühl im Oberpfälzer Landkreis Tirschenreuth heuer ihre zweite Saison spielt, muss man keinem mehr etwas über ihre besonderen Fähigkeiten erzählen. Zwar ist selbst bei den U -Mannschaften der Unterschied zwischen den Geschlechtern im Eishockey schon enorm – im Tor ist das aber noch am ehesten zu kompensieren. „Da kommt es nicht auf Kraft an“, sagte Viona Harrer damals in dem „SZ“-Interview, vielmehr seien Konzentration, Koordination, Reaktionsschnelligkeit und Beweglichkeit gefragt.
Also all das, was rauskommt, wenn Talent und Trainingsfleiß aufeinandertreffen. Und das tun sie bei Chiara Schultes, wie mittlerweile auch die Verantwortlichen für die Frauenmanschaften des Deutschen Eishockey-Bundes wissen. „Ich bin seit einiger Zeit im DEB-Nachwuchskader als Torhüterin gesetzt“, erzählt Schultes, was auch vermehrt internationale Einsätze mit sich bringt: Mitte November spielte die Wahl-Straubingerin mit den deutschen U18-Frauen bei einem Vier-Nationen-Turnier im schwedischen Väsby gegen Gastgeber Schweden, die Slowakei und die Schweiz. „Obwohl das Turnier für uns leider nicht so erfolgreich war, wurde ich nach dem Spiel gegen die Schweiz als beste Spielerin und am Ende des Turniers als beste Torhüterin ausgezeichnet“, berichtet Chiara Schultes: „Ich konnte sehr viele Erfahrung sammeln und hatte auch noch großen Spaß.“
Im Anschluss an das Turnier in Schweden wurde die Teenagerin dann von Thomas Schädler, dem deutschen Frauen-Bundestrainer, zur Bundeswehrwoche der Sportsoldaten eingeladen. „An drei sehr harten Trainingstagen mit einem speziellen Torwarttraining mit Jennifer Harß (ehemalige Nationaltorhüterin des DEB, die Red.) konnte ich erneut viel lernen und mich mit den Sportsoldaten über die Bundeswehr austauschen“, so das Fazit von Chiara Schultes.
Anfang Dezember ging es dann zu einem weiteren Lehrgang der Bundeswehr, wo wieder die Möglichkeit zu Extra-Einheiten mit Jennifer Harß bestand. „Mir haben die DEB-Maßnahmen der Bundeswehr eine Menge Spaß gemacht, und ich konnte einiges für mich mitnehmen“, so die Oberpfälzerin – unter anderem eine berufliche Perspektive: „Mein Ziel ist es, einen Platz im Spitzensportkader der Bundeswehr zu ergattern.“
Das würde es Chiara Schultes ermöglichen, die Eishockeykarriere weiter zu verfolgen – mit dem Ziel, irgendwann das Tor der deutschen Nationalmanschaft zu hüten, vielleicht sogar mal bei Weltmeisterschaften oder bei Olympia.
Gar nicht nach Wunsch lief es für Chiara Schultes und die deutschen U18-Frauen zuletzt bei einem weiteren Vier-Nationen-Turnier in Füssen, wo man vergangene Woche ohne Sieg nur Platz vier belegte. U18-Bundestrainerin Franziska Busch war danach natürlich alles andere als zufrieden: „Gegen Österreich und die Schweiz konnten wir die Spiele eng gestalten, aber trotzdem haben wir gesehen, dass wir besonders im läuferischen und technischen Bereich noch viel Arbeit vor uns haben.“
Sehr viel Zeit bleibt der Bundestrainerin und ihrer Mannschaft dafür aber nicht, denn vom 9. bis zum 15. Januar findet in Klobenstein am Ritten in Südtirol die U18-Weltmeisterschaft statt. Chiara Schultes gehört zum Kader, was für sie bedeutet, dass sie bereits kurz nach Weihnachten wieder die Taschen packen muss, um erst zur WM-Vorbereitung und dann zum Turnier nach Südtirol zu fahren.
Beim EHC Straubing muss man also vorerst einmal auf die 17-Jährige verzichten. Irgendwann wird Chiara Schultes aber natürlich wieder mit den Jungs der Straubinger U17 auf dem Eis stehen. Die wissen, dass sie da eine ausgesprochen gute und mittlerweile international erfahrene Torfrau hinter sich haben. Und Chiara Schultes weiß, dass sie sich für den Fall, dass doch mal ein gegnerischer Spieler einen Check gegen sie versucht, auf ihre Mitspieler verlassen kann. Bekanntermaßen hüten im Eishockey die Feldspieler ihren Goalie ja wie ihren Augapfel – und bei einem weiblichen Goalie könnte das vielleicht sogar noch ein kleines bisschen mehr gelten.